Eine Mieterin bewohnt seit 1985 alleine eine 77 qm große Dreizimmerwohnung in Freiburg. Seit 2005 bezieht sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (dem sog. Hartz IV). Das Jobcenter übernahm zunächst die vollen Kosten der Unterkunft und Heizung. Ab August 2005 teilte es der Mieterin mehrfach mit, die Mietkosten seien unangemessen hoch. Erstmals für den Zeitraum ab 1. Juli 2008 übernahm das Jobcenter die Kosten der Unterkunft und Heizung nur teilweise. Sämtliche Rechtsmittel auf vollständige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung hatten keinen Erfolg. Die Mieterin macht mit ihrer Verfassungsbeschwerde geltend, in ihrem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verletzt worden zu sein. Ebenso führt sie aus, dass die gesetzliche Regelung einer Beschränkung der Übernahme der Kosten der Unterkunft, "soweit diese angemessen sind", nicht ausreichend bestimmt sei.
Entscheidung
Ohne Erfolg! Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG gewährleistet das gesamte Existenzminimum einer Person durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie (vgl. BVerfGE 125, 175). Dazu gehört das physische Existenzminimum, zu dessen Sicherung die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu decken sind. Das Grundgesetz selbst gibt insoweit keinen exakt bezifferten Anspruch auf Sozialleistungen vor (vgl. BVerfGE 125, 175; 132, 134). Die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums muss aber durch ein Gesetz gesichert sein, das einen konkreten Leistungsanspruch enthält (BVerfGE 125, 175 ; 132, 134). Dies schließt die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe nicht aus. Die Begrenzung der Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung durch das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit lässt sich durch Auslegung hinreichend konkretisieren. Aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II folgt, dass für die Angemessenheit die Umstände des Einzelfalls maßgeblich sind. Es ist also der konkrete Bedarf der Leistungsberechtigten einzelfallbezogen zu ermitteln. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verfolgt damit anders als § 20 SGB II im Ausgangspunkt einen Individualisierungsgrundsatz. Auch die Einwände gegen die Begrenzung der Übernahme auf angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung greifen auch im Hinblick auf die Höhe des Leistungsanspruchs verfassungsrechtlich nicht durch. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist insoweit entscheidend, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten wird, die gesetzlichen Regeln also tatsächlich eine menschenwürdige Existenz sichern (vgl. BVerfGE 125, 175; 132, 134; 137, 34). Danach ist die Begrenzung auf angemessene Kosten in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II nicht zu beanstanden. Es ergibt sich keine Verpflichtung des Staates, jedwede Unterkunft im Falle einer Bedürftigkeit staatlich zu finanzieren und insoweit Mietkosten unbegrenzt zu erstatten. Die grundrechtliche Gewährleistung bezieht sich nur auf das Existenzminimum.
Praxistipps
Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorlagebeschlüsse des Sozialgericht Mainz zum gleichen Thema als unzulässig zurückgewiesen (1 BvL 2/15; 1 BvL 5/15).
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht, Medizinrecht und Miet- und Wohnungseigentumsrecht Maik Fodor, Friedrichshafen
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